Der Strafprozess gegen eine junge Antifaschistin wegen Vermummung und Widerstand beim Heß-Marsch 2018 endete gestern (21.8.) mit einem klaren Freispruch. Das Berliner Bündnis gegen Rechts (BBgR) begleitete beide Verhandlungstage.
Im konkreten Fall sei die Vermummung nicht strafbar gewesen, und auch die Reflexe der Betroffenen wertete die Richterin als legitim. Die Antifaschistin war nach einer Sitzblockade auf der Landsberger Allee von mehreren Polizisten ohne Vorwarnung von hinten zu Boden gerissen und anschließend in einen Polizeibus geworfen worden.
Die Beamten setzten einen schmerzhaften so genannten Nasenhebelgriff ein. Der festnehmende Beamte behauptete zwar die Schmerzfreiheit des Griffs, die Richterin zeigte sich davon aber unbeeindruckt: es sei zweifelsfrei immer schmerzhaft, von einem trainierten Mann von hinten an der Nase umhergezerrt zu werden. Die Betroffene hatte mehrere große Hämatome im Gesicht erlitten. Ihre Reflexe auf den überraschenden Angriff von hinten wertete die Richterin als legitim: „Niemand muss an der eigenen Festnahme aktiv mitwirken.“
Die Staatsanwaltschaft empfahl in einem überraschend kurzen Plädoyer die Anwendung von §60 StGB, was quasi eine Verurteilung ohne Strafe wäre. Hier ging es offensichtlich darum die inhaltliche Auseinandersetzung zu vermeiden, denn zu den angeklagten Punkten äußerte man keine Wort. Auch wenn die entsprechende Frist abzuwarten ist, ist mit einer Berufung durch die Staatsanwaltschaft nicht zu rechnen.
Zu Beginn des ersten Verhandlungstages hatte die Betroffene das Angebot einer Einstellung ohne Auflagen abgelehnt – eine politische Anklage bedürfe einer politischen Verteidigung. Auch am gestrigen zweiten Verhandlungstag erschienen mehrere dutzend Unterstützer*innen, sodass der Platz im Saal nicht ausreichte. Trotz scharfer Kontrollen brachten sie mehrere Schilder und ein Transparent in den Saal, mit Aufschriften wie „Widerstand immer & überall“ und „Nichts vergeben, nichts vergessen“.
Ein Sprecher des BBgR zeigte sich zufrieden mit dem Verlauf des Prozesses: „Wir freuen uns über den Freispruch und dass die Betroffene die nötige Solidarität erfahren hat, um sich selbstbewusst und offensiv zu verteidigen. Dies ist ein ermutigendes Zeichen für die weiteren Strafprozesse zu den Heß-Märschen.“
In den kommenden Monaten steht mindestens ein weiterer Strafprozess bevor. Das BBgR wird diesen solidarisch begleiten und die Kritik am Naziproblem der Polizei sowie dem Polizeiproblem des Senats weiter in die Öffentlichkeit tragen. Das laufende §129-Verfahren gegen die Fahrradanreise des BBgR zum Heß-Marsch 2017 wird weiter Thema sein.
Die Verteidigerin Henriette Scharnhorst fragte nach der Gefahreneinschätzung des Heß-Marschs durch die Berliner Polizei. Hier wurde abermals deutlich, dass die Polizei Naziaufmärsche ausschließlich als ordnungspolitisches Problem sieht. Bei der Einsatzplanung geht es lediglich darum, diese möglichst effizient durchzusetzen.
Der BBgR-Sprecher: „Durch die Geheimhaltung von Aufmarschrouten sabotieren Senat und Polizei den Selbstschutz in den betroffenen Kiezen. Die Unversehrtheit der Menschen dort spielt offenbar keinerlei Rolle.“ Gleich der erste Einsatz der Geheimhaltungstaktik führte 2011 am Mehringsdamm ins Desaster, große Gruppen Neonazis prügelten unter Polizeischutz wahllos auf Passant*innen und Antifaschist*innen ein.
Auch um strafbare Inhalte der Heß-Märsche schert sich die Polizei nicht: sowohl 2018 als auch im Jahr zuvor duldete die Polizei ein Fronttransparent, das mittels eines Heß-Zitats offen die nationalsozialistischen Verbrechen verherrlichte. Entsprechende Musikstücke wurden ebenfalls geduldet.