(K)ein Teil der „demokratischen Mitte“?! Hintergrundartikel zum „Extremismuskongress“ der AfD in Berlin

Am Samstag, den 18. März 2017, veranstalten die Landtagsfraktionen der Alternativen für Deutschland (AfD) unter dem Titel „Deutschland im Fadenkreuz“ gemeinsam einen sogenannten „Extremismus-Kongress“ in Berlin-Mitte. In der Einladung kündigt der Berliner AfD-Vorsitzende Georg Pazderski als Gastgeber der AfD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhausan, dass sich die Tagesveranstaltung mit „rechtem, linken und religiös motivierten Extremismus“ beschäftigt und über den Schutz und die Gefahren für die „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ diskutiert werden soll.[1] Unter dem Titel „Extremismus in Sachsen – Ein Land im Fadenkreuz“ organisierte die sächsische Landtagsfraktion der AfD bereits 2016 und Anfang 2017 zwei Veranstaltungsreihen. Beteiligt an der Realisierung des Kongresses scheint die Agentur WortReich von Inhaber Michael Sitte-Zöllner, gleichzeitig Beisitzer im Landesvorstand des AfD-Mittelstandsforum in Sachsen, die wiederholt Veranstaltungen für die AfD und Lesungen mit Thilo Sarrazin in Sachsen organisierte.[2]

Nur ein strategisches Manöver

Die AfD versucht mit der Veranstaltung eines vermeintlich wissenschaftlichen Kongresses den Begriff „Extremismus“ strategisch zu nutzen um sich als Teil der „demokratischen Mitte“ zu inszenieren, die es ihrer Meinung nach gegen die Gefahr vor allem von Links- und „Ausländer“-Extremismus zu verteidigen gelte. Das zuletzt veröffentlichte Programm zur Bundestagswahl, die Höcke-Rede in Dresden oder die Aufforderung von Frauke Petry, den Begriff „völkisch“ positiv zu besetzen, zeigen das Bild einer rechtspopulistischen Partei mit völkisch-nationalistischem, unsozialem, rassistischem und frauenfeindlichem Programm. Die Wahl der Referenten und ihre inhaltliche Ausrichtung verstärkt diese Wahrnehmung. Der Kongress am 18. März ist der Versuch des „Realo“-Flügels der AfD den Eindruck zu erwecken, dass die Partei keinesfalls extremistisch sei. Das im Januar 2017 geleakte Strategiepapier aus der Feder von Georg Pazderski zeigt, dass die Gefahr erkannt wurde, dass ein Stigma als faschistische Partei der AfD Mitglieder und Stimmen kosten würde. Mit dem Kongress setzt der Flügel um Petry und Pazderski im innerparteilichen Machtkampf auf eine strategische Verortung in der „demokratischen Mitte“ der Gesellschaft ohne auf antidemokratische und diskriminierende Forderungen zu verzichten. Der gesamten Politik der AfD liegt aber eine reaktionäre, völkische und ausgrenzende Vorstellung der Gesellschaft zugrunde. Dass die Partei der geistigen Brandstifter vorgibt, sich Sorgen um die Demokratie in Deutschland zu machen, ist blanker Hohn für die Betroffenen rechter Gewalt.

Kritik der Extremismustheorie

Mit der Verwendung der sogenannten „Extremismus-Formel“ soll dem Kongress ein wissenschaftlicher Anstrich gegeben werden, doch der extremismustheoretische Forschungsansatz verfolgt eine politische Agenda und ist als sozialwissenschaftliche Theorie umstritten. Der Ansatz basiert auf der Annahme, dass es eine gesellschaftliche Mitte gäbe, die von ihren Rändern bedroht werde und dass die Ränder sich einander annähern würden; deshalb wird dieses Modell auch als Hufeisentheorie bezeichnet. Gerade der „Rechtsextremismusbegriff [ist] ein machtvolles Vehikel, um eine vermeintlich klare Grenzziehung zwischen der breiten, scheinbar demokratischen und einigermaßen intakten ‚Mitte‘ und dem problematischen, da extremistischen ‚Rand‘ zu suggerieren“.[3]Das Extremismusmodell negiert, dass die Ursachen für antidemokratische und menschenfeindliche Einstellungsmuster in der Mitte der Gesellschaft wurzeln und schafft eine gefährliche Gleichsetzung zwischen links und rechts. Dabei spielt die Betonung der formalen Gleichheit von linkem, rechtem und seit einigen Jahren auch „Ausländer-“Extremismus eine entscheidende Rolle. Das eindimensionale Modell wird durch soziologische Untersuchungen wie die „Mitte“-Studien oder „Deutsche Zustände“ regelmäßig widerlegt. Ihre Legitimität gewinnt die Extremismustheorie also nicht durch ihre wissenschaftliche Plausibilität, sondern durch ihren politischen Nutzen: Sie dient als Handlungsgrundlage, wenn es darum geht, politische Aktivitäten all jener zu delegitimieren, die sich für eine andere Gesellschaft einsetzen. Unter Ausblendung ihrer gegensätzlichen Inhalte.

In extrem rechter Gesellschaft

Auch ein Blick auf die Vita und die Verbindungen in die extreme Rechte der eingeladenen Referenten verdeutlicht, dass es sich um eine pseudowissenschaftliche Veranstaltung handelt, deren Ziel die Verankerung der AfD als Partei der demokratischen Mitte in der öffentlichen Wahrnehmung ist. „Die rechtliche und gesellschaftspolitische Situation Deutschlands im Jahre 2017 unter Berücksichtigung der extremistischen Gefahr“ soll vom Dresdener Professor für Politikwissenschaft Werner Patzelt analysiert werden[4] Dieser erteilte der rassistischen PEGIDA-Aufmärschen in Dresden öffentlichkeitswirksam Absolution, indem er die Legitimität des Anliegens der Demonstrierenden hervorhob – und die Empörung über die vermeintlichen „Islamkritiker*innen“ und die Gegenproteste als „hysterisch“ bezeichnete.[5] Viele wissenschaftliche Kolleg*innen haben sich in der Vergangenheit von Patzelt distanziert. Ein Anlass unter vielen war, dass er seine Kolumne in der Sächsischen Zeitung über den solidarischen Einsatz Vieler für Geflüchtete (Stichwort „Willkommenskultur“) mit einem Goebbels-Zitat versah. Auf Kritik daran reagierte er wie folgt: „Hätte ich das Goebbels-Zitat nicht gebracht, spräche niemand über diese Kolumne […] Und wenn andere über Stöckchen drüber springen, soll mir das Recht sein.“[6] In der Strategie des kalkulierten Tabubruchs scheint Patzelt der AfD  in nichts nach zu stehen.

Der Rechtswissenschaftler Dietrich Murswiek, der ebenfalls am Kongress teilnimmt, hat eine umtriebige Vergangenheit in der rechten Szene und gehört heute der CDU an. In den 1970ern publizierte Murswiek als Autor in verschiedenen rechten Zeitungsprojekten wie dem „Deutschen Studenten-Anzeiger“ und war unter anderem Mitglied des Nationaldemokratischen Hochschulbundes Heidelberg. Auch in den 1990ern hielt er Vorträge bei einer rechten Gildenschaft in Freiburg und neurechten Netzwerken z.B. bei der 2. Weikersheimer Hochschulwoche. Murswiek war Schüler des nationalsozialistischen Staatsrechtlers Ernst Forsthoff und lehrte an der Freiburger Universität Staats- und Verwaltungsrecht sowie Umweltrecht. In einem Beitrag zu seinem 65. Geburtstag in der neurechten „Sezession“ wird Murswiek als einer der „profiliertesten Vertreter der wertkonservativen Umweltschutzbewegung“[7] und seine „originellen Standpunkte in der Strafrechtslehre“ gewürdigt.

…und das BKA mittendrin

Auch der Leiter der Forschungsstelle Terrorismus/Extremismus des Bundeskriminalamts, Dr. Uwe Kemmesies, hat seine Beteiligung an dem Kongress bestätigt. Der Sozialwissenschaftler und „Präventionsexperte“ spricht sonst auf Fachtagungen mit Innenminister Thomas de Maizière und Aiman Mayzek, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime.[8] Dass sich das Bundeskriminalamt für die Zwecke der AfD instrumentalisieren lässt, ist ein politischer Skandal. Das BKA verteidigte die Teilnahme Kemmesies auf Anfrage mit der Verpflichtung auf „parteipolitischer Neutralität“ und leistet damit seinen Beitrag zur Relativierung rechter Gewalt und zur Normalisierung der AfD.[9] In der Konsequenz sitzt ein offizieller Mitarbeiter einer staatlichen Behörde auf einem Podium mit dem selbsternannten „Terrorexperten“ Shams Ul-Haq, der zuletzt sein Buch „Die Brutstätte des Terrors. Ein Journalist undercover im Flüchtlingsheim“ im verschwörungstheoretischen KOPP-Verlag verkauft. Der Autor ist in Pakistan geboren und soll als „Experte“ die Weltsicht der AfD untermauern und den Vorwurf des Rassismus vorbeugen.

Der katholische Theologe und erzkonservative Sozialethiker Wolfgang Ockenfels referiert zu „Religion und Gewalt“. Es ist zu befürchten dass der Referent dabei die gewaltvolle Geschichte der christlichen Religion ausspart. Ockenfels schreibt für die Junge Freiheit und ist bekannt für seine Kritik am aktuellen katholischen Zeitgeist. Seit dem Sommer 2016 sympathisiert er offen mit der AfD, lehnt den Abgrenzungskurs katholischer Würdenträger der Partei gegenüber ab und findet es nicht unchristlich die AfD zu wählen.[10] Neben Ockenfels tritt der Psychologe Dr. Nicolai Sennels auf dem Kongress auf. Sennels ist ehemaliges Mitglied der dänischen Volkspartei, Gründer des erfolglosen PEGIDA Ableger „PEGIDAdk“ in Dänemark und ein europaweit bekannter „Islamkritiker“, der den offenen Kampf gegen „den“ Islam propagiert, jede Form der Einwanderung unterbinden und für alle Muslime die Grund- und Freiheitsrechte einschränken will.[11]Die Moderation des Kongresses übernehmen, wie bei den Veranstaltungen in Sachsen, der rechte Publizist Andreas Lombard und Dr. Jörg Michel.[12] Lombard veröffentlichte eine Schrift unter dem Titel „Homosexualität gibt es nicht. Abschied von einem leeren Versprechen“ und ist Mitherausgeber von Akif Pirinçcis Buch „Attacke auf den Mainstream – „Deutschland von Sinnen“ und die Medien“. Der Autor ist außerdem Preisträger des Gerhardt Löwenthal Preis für Journalisten, der von der „Förderstiftung konservative Bildung und Forschung“ und der Jungen Freiheit verliehen wird.

Quellen

[1]https://cdn.afd.tools/sites/2/2017/03/07163048/Einladung-Extremismus-Kongress-Berlin.pdf Vgl. https://extremismuskongress.de/

[2] Vgl. http://www.afdsachsen.de/download/sachsen-aktuell/asa-19-2015.pdf Vgl. http://wortreich.net/

[3]Dölemeyer, Anne/Mehrer, Anne (2011): Einleitung: Ordnung.Macht.Extremismus. In: Forum für kritische Rechtsextremismusforschung (Hrsg.): Ordnung. Macht. Extremismus. Effekt und Alternativen des Extremismus-Modells. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S.7-32.

[4] Patzelt trat zuletzt im Mai auf einer Veranstaltung in der neurechten Bibliothek des Konservatismus in Berlin auf. Vgl. https://www.evensi.de/werner-patzelt-pegida-warnsignale-aus-dresden-bibliothek/176447739

[5] Hier findet sich eine fundierte Auseinandersetzung mit Patzelts Pegida-Studie: https://publikative.org/2015/06/01/die-methode-patzelt-anmerkungen-zu-patzelts-auseinandersetzung-mit-pegida/

[6]http://www.deutschlandfunk.de/besorgte-buerger-politikwissenschaftler-patzelt-wegen.680.de.html?dram:article_id=366466

[7]https://sezession.de/41271/65-geburtstag-dietrich-murswiek.html

[8]http://www.netzwerk-terrorismusforschung.org/?p=803

[9]http://www.tagesspiegel.de/politik/streit-um-hoecke-bundeskriminalamt-verteidigt-teilnahme-an-extremismuskongress-der-afd/19391688.html

[10]http://www.kath.net/news/55421

[11]https://deutschelobbyinfo.com/2016/12/02/dr-nicolai-sennels-10-tipps-wie-man-den-islam-aufhalten-kann-2/

[12] Vgl. https://cdn.afd.tools/sites/2/2017/03/07163048/Einladung-Extremismus-Kongress-Berlin.pdf


Pressemitteilung Berliner Bündnis gegen Rechts, 15.03.2017

„Extremismuskongress“ der AfD: Geistige Brandstifter inszenieren sich als Partei der „demokratischen Mitte“

Berlin. Am Samstag, den 18. März, veranstalten die Landtagsfraktionen der Alternativen für Deutschland (AfD) unter dem Titel „Deutschland im Fadenkreuz“ gemeinsam einen sogenannten „Extremismus-Kongress“ in Berlin-Mitte, an dem auch ein Vertreter des Bundeskriminalamtes (BKA) teilnehmen wird. Das Berliner Bündnis gegen Rechts (BBgR) wertet diese Veranstaltung als erneuten Versuch der rechtspopulistischen AfD, sich als „normale“ Partei der „demokratischen Mitte“ zu inszenieren und kritisiert insbesondere die Teilnahme des BKA an einer Veranstaltung mit rechten Hetzern aufs Schärfste. „Die AfD, eine Partei, deren Aushängeschilder Schießbefehle an Grenzen erteilen wollen und die Erinnerungspolitik an die systematische Ermordung mehreren Millionen Menschen als ‚dämliche Bewältigungspolitik‘ bezeichnen, lädt ein, um pseudowissenschaftlich über ‚Extremismus‘ zu debattieren. Dass das Bundeskriminalamt sich für die Zwecke der AfD instrumentalisieren lässt , ist ein politischer Skandal“, betont Tatjana Strauß, Sprecherin vom Berliner Bündnis gegen Rechts. Das BKA verteidigte die Teilnahme des Leiters der Forschungsstelle Terrorismus/Extremismus, Dr. Uwe Kemmesies Kemmesies, mit der Verpflichtung auf „parteipolitische Neutralität“. Damit leiste das BKA einen seinen Beitrag zur Relativierung rechter Gewalt und zur Normalisierung der AfD, so die BBgR-Sprecherin.

„Die Partei der geistigen Brandstifter gibt vor, sich Sorgen um die Demokratie in Deutschland zu machen – das ist blanker Hohn für die Betroffenen rechter Gewalt! Wir werten den Kongress als einen Versuch des „Realo“-Flügels der AfD, sich vom rechten Rand abzugrenzen und sich als seriöse Partei zu geben“, so Peter Smolinski, Pressesprecher des BBgR . Er führt weiter aus: „Der gesamten Politik der AfD liegt aber eine reaktionäre, völkische und ausgrenzende Vorstellung der Gesellschaft zugrunde, wie etwa Björn Höckes Geschichtsrevisionismus und der zuletzt veröffentlichte Programmentwurf zur Bundestagswahl zeigt“. Ein Blick auf die Vita und die Verbindungen in die extreme Rechte der eingeladenen Referenten verdeutliche, dass es sich um eine pseudowissenschaftliche Veranstaltung handelt, deren Ziel die Verankerung der AfD als Partei der „demokratischen Mitte“ in der öffentlichen Wahrnehmung sei.

Neben dem BKA-Mitarbeiter hat die AfD als Referenten den Gründer von Pegida Dänemark, Dr. Nicolai Sennels, den viel kritisierten Dresdener Pegida-Versteher und „Extremismus“-Theoretiker Werner Patzelt sowie Juristen mit jahrzehntelanger rechter Vergangenheit und Antifeministen eingeladen. In der Einladung kündigt der Berliner AfD-Vorsitzende Georg Pazderski als Gastgeber der AfD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus an, dass sich die Tagesveranstaltung mit „rechtem, linken und religiös motivierten Extremismus“ beschäftigt und über den Schutz und die Gefahren für die „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ diskutiert werden soll.

Einen Hintergrundartikel mit detaillierten Informationen zu den angekündigten Referenten des Kongresses finden Sie unter: https://berlingegenrechts.de/

Das Berliner Bündnis gegen Rechts begrüßt ausdrücklich die angekündigten Proteste aus der Berliner Zivilgesellschaft und ruft zur Teilnahme daran auf.