Die Hintergrundinformation soll Informationen rund um die Gruppierung liefern und gliedert sich in Ursprung, Theoretische Eckpfeiler, Organisierung in Berlin und Antifeminismus als Ideologie.
Ursprung
Die Identitäre Bewegung (IB) ist eine Gruppierung mit Ablegern in mehreren europäischen Ländern. Als Vorbild gilt unter anderem die neofaschistische Organisation CasaPound aus Italien, an deren Ideologie und Strategien sich die identitären Gruppierungen in ganz Europa orientieren. Ihren Ursprung hat die IB aber in Frankreich: am 20. Oktober 2012 besetzte die Gruppe Génération Identitaire (GI) das Dach einer Moschee in Poitiers. Dabei entrollten sie ein Banner mit der Jahreszahl 732 und dem griechischen Großbuchstaben Lambda. Diese Aktion gilt als Auftakt und Blaupause für alle weiteren Gruppen der IB, die danach aktiv wurden.
Die Jahreszahl 732 referiert auf die Schlacht von Poitiers und Tours, als Karl Martell die Mauren zurückschlug. Das Symbol des griechischen Großbuchstabens Lambda (gelb auf schwarzem Grund) soll für den Kampf der spartanischen Hopliten gegen die als Perser in der Schlacht bei den Thermopylen (480 v. Chr.) stehen. Nach historischer Überlieferung befand sich auf dem Schild der Hopliten das Lambdasymbol. Die Identitären beziehen sich hierbei vor allem auf die popkulturelle und historisch fragwürdige Verarbeitung der Schlacht in dem Spielfilm 300. Weitere historische Bezugspunkte, die bei den Identitären immer wieder auftauchen, sind die Reconquista (christliche Rückeroberung bis 1492) und die Wiener Türkenbelagerungen (1529 und 1683).
Theoretische Eckpfeiler
Die IB lässt sich der Neuen Rechten zuordnen. Ideologisch beziehen sich die Gruppen im deutschsprachigen Raum in ihren Analysen auf Vertreter der Konservativen Revolution zu der u.a. der spätere NS-Staatsrechtler Carl Schmitt, der Philosoph Oswald Spengler (Hauptwerk: „Der Untergang des Abendlandes“) und der nationalistische Schriftsteller Ernst Jünger zählen. Auch Gedanken von Martin Heidegger, Friedrich Nietzsche und Julius Evola finden Eingang in die Ideologie der Identitären. Auf den französischen Vordenker der Neuen Rechten Alain de Benoist, der das Konzept einer „Kulturrevolution von rechts“ entwickelte, wird unter dem Stichwort „Metapolitk“ Bezug genommen und versucht diese in die Praxis umzusetzen. Die von Benoist geforderte Metapolitik will eine Machtübernahme im vorpolitischen Raum. Es geht dabei nicht um Parteipolitik, sondern darum vermittelt durch eine rechte Avantgarde den gesellschaftlichen Konsens nach rechts zu verschieben und (neu)rechte Positionen salonfähig zu machen. Durch öffentlichkeits- und medienwirksame Aktionen schafft es die IB mit ihren knappen Ressourcen möglichst viel Aufmerksamkeit zu erlangen. Sie schöpft dabei sowohl aus dem Konzept der Konservativen Subversiven Aktion (KSA) des deutschen Rechtsintellektuellen Götz Kubitschek, als auch aus traditionell linken Konzepten, wie dem der Kommunikationsguerilla. Ideologisch schulen sich die Mitglieder der IB in neurechten Think-Tanks, wie dem in Schnellroda (Sachsen-Anhalt) ansässigem Institut für Staatspolitik (IfS) oder der Bibliothek des Konservatismus (BdK) in Berlin.
Neben dem Versuch einer Intellektualisierung rechter Diskurse bildet das im Anschluss an Benoists „ethno-différencialisme“ von Hennig Eichenberg entwickelte Konzept des Ethnopluralismus das ideologische Fundament der IB. Der Ethnopluralismus wird in der Rassismusforschung auch als „Rassismus ohne Rassen“ (Etiénne Balibar) bezeichnet, da in ihm der Begriff „Rasse“ durch „Kultur“ ersetzt wird. Folgerichtig sieht sich die IB in einem Kampf der Kulturen, in dem das (christliche) europäische Abendland seine Identität gegen eine angenommene islamische Invasion verteidigen muss. Unter der Parole vom „Großen Austausch“ wird behauptet, die Migrationsbewegungen seien von den Regierungsparteien oder einer nicht näher definierten Weltregierung politisch gesteuert mit dem Ziel die „Völker zu vermischen“. An dieser Stelle entlarvt sich der vermeintlich modernisierte Rassismus der Identitären und knüpft nahtlos an die altbekannte Blut-und-Boden Ideologie an. Vorrangiges Ziel der Identitären ist es deshalb zunächst „Volksaufklärung“ zu betreiben um ihr exklusives Wissen über den „Großen Austausch“ zu verbreiten, um mehr Menschen „zum Aufwachen zu bewegen“ und damit letztendlich neue Mitglieder zu gewinnen.
Organisierung in Berlin
Der Zusammenschluss der IB Deutschland ging aus eine Facebookgruppe hervor, die sich auf das rassistische Buch von Thilo Sarrazin „Deutschland schafft sich ab“ positiv bezog. Eine der ersten Aktion der IB Berlin-Brandenburg war ein Flashmob am Brandenburger Tor Anfang 2013. Hier versammelten sich knapp 15 Männer mit Schildern und Fahnen mit dem Lambda-Symbol. Im Sommer 2013 versuchten ca. fünf Aktivist*innen der IB das Lambda-Symbol auf die Warschauer Brücke zu malen. Dabei wurden sie von Antifaschist*innen entdeckt und vertrieben. Im Jahr 2013 wurden immer wieder vereinzelt Aufkleber der IB in verschiedenen Bezirken Berlins gesichtet. Die IB blieb bis 2015 in Deutschland und Berlin vor allem ein Internetphänomen.
Im Juni 2015 stürmten ca. sieben Aktivist*innen der IB ein SPD Bürgerbüro in Oberschöneweide mit einem Banner „Stoppt den großen Austausch“. Es tauchten auch vermehrt Aufkleber in diesem Bezirk auf. Mit dem „Sommer der Migration“ 2015 erhöhte die IB auch in Berlin ihre Aktivitäten. Ebenso nahmen Aktivist*innen der IB Berlin-Brandenburg an den Veranstaltungen von Bärgida teil. Bärgida ist der Berliner Ableger, der rassistischen und geflüchtetenfeindlichen Demonstrationen in Dresden (Pegida).
Dieser neue Aktivismus ist seit Beginn 2016 in Berlin deutlich spürbarer geworden. Schwerpunkt scheint zurzeit Steglitz-Zehlendorf zu sein, wo auch führende Mitglieder der Identitären ihren Wohnsitz haben. Als eine Person Aufkleber der IB abkratzte, wurde sie von vier Identitären beobachtet und anschließend gejagt (siehe Register Steglitz-Zehlendorf). Bei einem ersten Stammtisch der IB nahmen ca. 20 Personen teil. Im Mai 2016 folgten mehrere kleine öffentliche Aktionen dicht hintereinander (eine Spendenrunde für „deutsche Obdachlose“, eine Pfefferspray-Verteil-Aktion an „deutsche“ Frauen, eine Kundgebung vor der türkischen Botschaft, und im Görlitzer Park tauchte ein Graffito auf).
Die IB profitiert von einer Zunahme eines antimuslimischen Rassismus in der Gesellschaft. Diese Hetze wird aktiv von der Alternative für Deutschland vorangetrieben und wurde in deren Parteiprogramm festgeschrieben. Ebenso beflügelte die Berliner Identitären das verstärkte und medienwirksame Dürchführen von Aktionen ihres österreichischen Ablegers mit ihrem Frontmann Martin Sellner. Dieser reiste auch zu der von der IB Berlin-Brandenburg veranstalteten Demonstration am 17. Juni 2016 als Redner an. Mit der Demonstration versuchte die Gruppe einen ersten Schritt in die Öffentlichkeit zu wagen. Letztendlich konnte durch antifaschistische Proteste eine Verkürzung und frühzeitiger Abbruch der Demonstration erwirkt werden. Auch mit den gerade einmal 165 größtenteils von außerhalb angereisten Teilnehmer*innen blieb die IB Berlin-Brandenburg unter ihren selbstgesteckten Erwartungen von 400 angemeldeten Teilnehmer*innen. Es blieb die vorerst letzte angemeldete Aktion der Gruppe in Berlin.
Mehr Aufsehen erregte die Aktion der Identitären am 27. August 2016 am Brandenburger Tor. 15 Mitglieder der Gruppe erkletterten das Symbol der deutschen Teilung und entrollten ein Banner mit der Aufschrift „Sichere Grenzen – Sichere Zukunft“. Auch an dieser Aktion waren maßgeblich Identitäre von außerhalb Berlins beteiligt. Am 12. September störten Mitglieder der IB Berlin-Brandenburg eine Diskussionsveranstaltung im Gorki-Theater, die live im Radio übertragen wurde. Ihre Aktionen dokumentiert die IB durch selbstgedrehte Videos, die danach im Internet hochgeladen werden, um die Reichweite der Aktion zu erhöhen. Es folgten ein paar kleinst Aktionen, wie das Besteigen eines Balkons von der Geschäftsstelle von Bündnis 90/Die Grünen sowie das sich abends „vor verschlossene Tür setzen“ vor der CDU Parteizentrale im Dezember.
Die IB Berlin-Brandenburg bekommt ihren Zulauf u.a. aus dem Milieu der Burschenschaften, deren theoretische Grundannahmen sich gegenseitig beeinflussen. Enge Verbindungen gibt es zur Bibliothek des Konservatismus in Charlottenburg (Fasanenstraße 4), dem neurechten „Zukunftstag“ in Berlin und dem Landesverband der Alternative für Deutschland. Es bestehen personelle Überschneidungen zur Jugendorganisation der AfD, der Jungen Alternative. Der Schatzmeister der Jungen Alternative Jannik Brämer wurde öfters bei Bärgida Demonstrationen hinter Flaggen und Transparenten der Identitären Bewegung gesehen. Auch auf einer rassistischen Demonstration in Zossen (Brandenburg) am 3. Februar waren Mitglieder der Identitären Bewegung und der Jungen Alternative aus Berlin gemeinsam unterwegs. An der Demonstration der Identitären Bewegung am 17. Juni 2016 in Berlin beteiligten sich auch Mitglieder des Landesvorstands der Jungen Alternative.
Antifeminismus als Ideologie
Bis zum Sommer 2016 existierte die Facebookseite „Identitäre Frauen Berlin-Brandenburg“, welche aber zurzeit nicht mehr online ist. Mittlerweile gibt es die Seite „Identitäre Frauen und Mädels“, die gemeinsam von Aktivist*innen aus Österreich und Deutschland betrieben wird und überregional Aktionen der IB teilt und eigene Statements verfasst. Dem Bild des heroisch-kämpfenden männlichen Aktivisten wird ein entgegengesetztes Frauenbild gegenübergestellt. Mutterschaft spielt dabei, wie bei allen rechten Bewegungen, die zentrale Rolle. In Diskurse um sexualisierte Gewalt interveniert die IB rassistisch. Seit der Silvesternacht 2015/2016 verfolgen sie das Ziel Frauen in ihren eigenen Reihen sichtbarer zu machen, indem sie zum Beispiel das Fronttransparent bei Demonstrationen halten dürfen. Es finden sich auch Versuche den Begriff Feminismus anzueignen und rassistisch zu besetzen.
In Berlin versuchten vorwiegend männliche Aktivisten der IB das Thema Frauenrechte rassistisch zu instrumentalisieren, als sie am 20. November 2016 den Balkon der Grünen Parteizentrale erkletterten und ein Transparent entrollten. Aus der erhöhten Sichtbarkeit von Frauen oder dem Thema Frauenrechte folgt allerdings keine entsprechende Praxis oder gar emanzipatorische Kehrtwende. Frauen werden solange akzeptiert, wie sie sich ihrer Rolle gemäß verhalten, als Aushängeschild fungieren und das Verhalten ihrer männlichen Kameraden nicht in Frage stellen. Martin Sellner und weiterer IB-Aktivisten besuchten im Juni 2016 in Graz ein Frauenhaus (eine Einrichtung in der Betroffene Schutz vor häuslicher Gewalt und dem Täter finden) um dort „Frauen aufzureißen“ und bezeichneten dieses als „Bordellschutzort“.
Der Identitäre Antifeminismus präsentiert sich durch Instagram, Memes, tumblr-Blogs und eine objektivierende Darstellung von Frauenkörpern. Homosexualität und Körper abseits eines strikten Schönheitsideals sind untersagt. Posings dieser Art richten sich deshalb – wenn nicht sogar verstärkt – an Männer: Ihnen werden schöne Partnerinnen versprochen, an denen sie ihre sexuellen Bedürfnisse befriedigen können.