Am 3. Oktober 2020 hat die militante Neonazi-Kleinstpartei „Der Dritte Weg“ für einen Nazi-Aufmarsch nach Berlin-Hohenschönhausen mobilisiert. Weit gekommen sind die Faschist*innen nicht, denn der Aufmarsch wurde schon nach wenigen Metern von Antifaschist*innen blockiert. Tausende nahmen an Protestaktionen vielfältiger Art in Hohenschönhausen teil – Danke noch einmal an dieser Stelle!
Der Berliner Polizei gelang es offensichtlich nicht, an diesem Tag, die vielen Antifaschist*innen zu kontrollieren und einen störungsfreien Ablauf des Nazimarsches zu gewährleisten. Im Nachhinein überzieht sie daher schon länger einige Teilnehmer*innen von Gegenaktionen mit Repressionen. Manche sollen ein Bußgeld aufgrund der Infektionsschutzverordnung zahlen. Andere werden mit Strafverfahren nachträglich belangt. Wiederum einige wurden aber auch direkt am 3.10. in Hohenschönhausen durch Polizeigewalt verletzt. Und manche trifft es doppelt: Polizeigewalt und juristische Repression.
Doppelbestrafung von Polizei und Justiz für tatkräftigen Antifaschismus
So erhielt ein Antifaschist 2021 einen Strafbefehl, in dem ihm vorgeworfen wurde, er habe Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§113 StGB) geleistet. Er war im Zuge der Anreise auf dem Weg durch einen Park, als er an der Ribnitzer Straße von zwei jungen Bereitschaftspolizisten festgenommen wurde. Diese malträtierten ihn bei der Festnahme derart, dass der junge Vater seitdem berufsunfähig und zu 30 Prozent schwerbehindert ist. Der Prozess fand außgerechnet an dem Tag statt, an dem auch der vernichtende Bericht der Vereinten Nationen zu Polizeigewalt in Deutschland veröffentlicht wurde.
Neben dem Betroffenen – nun Angeklagter vor dem AG-Tiergarten – waren in der gestrigen Verhandlung vor Gericht die prügelnden Polizisten als Zeugen geladen. Sie sagten aus: „Auftrag des Tages war, den Aufzug des ‚Dritten Weges‘ störungsfrei verlaufen zu lassen“. Die Festnahme rechtfertigen sie mit der „Teilnahme an einer Menschenmenge aus der polizeifeindliche und antifaschistische Parolen gerufen und Steine und Pyro geworfen wurden“. Durch seine Teilnahme habe der Angeklagte der Menge Schutz geboten.
Tatsächlich ist der Grund der Festnahme schon rechtlich strittig. Denn seit der Strafrechtsreform 1969 ist die bloße Teilnahme an einer Versammlung, aus der heraus als „Landfriedensbruch“ kriminalisierte Gewalttätigkeiten verübt werden, vollkommen legal. Offenbar ist das kein Bestandteil mehr in der Polizeiausbildung. Und auch faktisch passt dies nicht damit zusammen, dass die Polizisten den Angeklagten vor allem deshalb zur Festnahme auserkoren hatten, weil er ein bisschen abseits stand.
Widerstand bei der Festnahme? – Nein, überforderte und eskalierende Polizisten
Wie lief die „Festnahme“ nun ab? Ausgangspunkt war wohl, dass ein Polizist in den Angeklagten „hineingefallen“ sei. Daraufhin habe man diesen festnehmen wollen. Zum Zwecke der Festnahme sollte der Betroffene auf den Bauch gedreht und ihm die Arme auf den Rücken gebracht werden. Der Betroffene, der erst kurz zuvor an der Schulter operiert worden war, erlitt dabei starke Schmerzen und gab dies deutlich zu verstehen. Die beiden Polizisten kümmerten sich jedoch nicht darum und meinten in der mündlichen Verhandlung, überhaupt nichts wahrgenommen zu haben.
Stattdessen glänzten sie mit den wildesten Widerstands-Definitionen: „Widerstand ist, wenn ich ihn nicht auf den Bauch gedreht und die Arme fixiert bekomme. Wenn ich das nicht schaffe, dann ist das Widerstand“, gab der eine von sich. Eine Widerstandshandlung ohne Handlung also?
Der zweite Polizeizeuge wurde etwas konkreter, was die eigenen Brutalität anging: Er sei, als er beim Angeklagten angelangt sei, unglücklicherweise genau so gestolpert, dass er mit seinem Knieschoner in den Brustkorb des Angeklagten gefallen sei. Nachdem der Angeklagte nicht schnell genug seine Arme auf den Rücken gedreht habe, habe er zur Brechung des Widerstands Faustschläge angewandt. Er sei sicher davon ausgegangen, dass der Festgenommene einen Rippenbruch davon getragen hatte. Von der Schulter und den gerissenen Sehnen höre er hingegen zum ersten Mal.
Unser Resümée: Kritik an Polizeizeugen und Polizeiausbildung bleibt notwendig
Im Grunde zeigt die Verhandlung, was ohnehin bekannt ist: Polizist*innen sind als Beweismittel / Berufszeugen äußerst fragwürdig. Ihr Aussagen gilt es auf Absprachen , Unstimmigkeiten und krude Annahmen zu überprüfen und zu kritisieren. Offensichtlich straflose Handlungen bzw. Nicht-Handlungen von Versammlungsteilnehmer*innen halten sie für strafbar, während sie selbst die krassesten Verletzungen an anderen vornehmen, von denen sie aber vermuten, dass sie nicht rechtswidrig sind.
Selbst die Staatsanwaltschaft, die ja immerhin Anklage erhoben hatte, musste am Ende der Verhandlung eingestehen, keine „so massive Widerstandshandlung“ im (Nicht-)Verhalten des Angeklagten zu sehen. Vielmehr sei es verständlich, dass man sich nach einer Verletzung an der Schulter nicht gern den Arm nach hintendrehen lasse. Statt eines Freispruchs endete das Verfahren mit der Einigung auf eine Einstellung gem. § 153 II StPO (Geringfügigkeit) ohne Auflagen. Für den Angeklagten ist das eine sichtliche Erleichterung. Mit den gesundheitlichen Folgen der Festnahme wird er jedoch noch ein Leben lang zu kämpfen haben.
Viel Kraft dem Betroffenen und allen weiteren von Polizeigewalt Betroffenen!